Der Hammer, der Tanz und ein großes Problem

Warum wir jetzt endlich über übergeordnete Stragien zum Umgang mit der Corona-Pandemie sprechen müssen.

Einer der wohl wichtigsten Artikel zur Corona-Krise war in letzter Zeit der sehr lange, gut recherchierte Artikel „Der Hammer und der Tanz“ (Original auf Englisch, Übersetzung auf Deutsch). Darin beschreibt Thomas Pueyo eine mögliche Strategie zur Bekämpfung des neuen Coronavirus. Der Artikel ist am 19. März erschienen, wurde millionenfach gelesen und hat sicherlich die Maßnahmen im Kampf gegen das Virus maßgeblich beeinflusst. Doch leider hat Pueyo dabei entscheidende Fakten übersehen, die die gesamte Strategie nahezu wirkungslos verpuffen lassen. In seinem Artikel beschreibt er zwei Phasen, wie sich die Pandemie unter Kontrolle bekommen lässt.

Der Hammer

In der ersten Phase komme der „Hammer“. Er solle die Zahl der Infizierten schnell sehr stark drücken. Für eine relativ kurze Zeit (vielleicht mehrere Wochen bis wenige Monate) würden sehr harte Maßnahmen ergriffen. Als mögliche Beispiele nennt er Ausgangssperren, Kontaktverbote, geschlossene Schulen, Läden, Fabriken, Restaurants und Landesgrenzen.

Der Tanz

In der zweiten Phase beginne nun der „Tanz“. Damit beschreibt Pueyo die lange Phase zwischen dem Hammer und der Erlösung durch die Verfügbarkeit eines Impfstoffes. Während des Tanzes müssten schwächere, dafür langanhaltende Maßnahmen ergriffen und immer wieder angepasst werden. Diese sollten dazu führen, dass die niedrige Zahl der Neuinfektionen konstant gehalten wird oder sogar noch weiter sinkt. In Frage kämen hierfür mildere Maßnahmen wie strengere Hygienevorschriften, Abstand halten in der Öffentlichkeit, häufiges Händewaschen, Verbot von Großveranstaltungen etc.
Ein Kernstück während des Tanzes sei laut Pueyo das Testen und Nachverfolgen (Englisch „tracking and tracing“) der Fälle. Dies wird in Deutschland von den Gesundheitsämtern übernommen (und wird auch schon, so gut es geht, umgesetzt). Die vieldiskutierte App, die einen warnt, wenn man sich in der Nähe einer an Covid-19 erkrankten Person aufgehalten hat, könnte diese Arbeit automatisieren und damit stark beschleunigen. (Die App würde natürlich auch von sehr vielen Fällen nicht überlastet werden. Allerdings würde sie dann derartig oft warnen, dass die Warnungen vermutlich nicht mehr ernst genommen werden.) Wenn ein Land wie Deutschland nur noch einige hundert neue bekannte Fälle pro Tag hat, ist es sicherlich möglich, die Fallverfolgung zu bewerkstelligen. Dadurch werden bekannt Infizierte schnell unter Quarantäne gestellt und Kontaktpersonen gewarnt. Die Zahl der Neuansteckungen soll so erheblich reduziert werden und entsprechend könnten andere Maßnahmen lockerer ausfallen als ohne Fallverfolgung.

Das Problem

Der Ansatz von Pueyo klingt zunächst sinnvoll. Bei näherer Betrachtung scheint er allerdings ein großes Problem nicht bedacht zu haben: Leider ist die Dunkelziffer sehr hoch. Das Robert Koch Institut schreibt sehr vorsichtig, dass die tatsächliche Zahl der Infizierten möglicherweise um den Faktor 11 bis 20 über den offiziellen Zahlen liegt (hier geht es zu den entsprechenden Infos vom RKI). Wenn alle bekannten Fälle sehr intensiv und gut nachverfolgt würden, handelt es sich leider nur um 5% bis 10% der tatsächlichen Fälle. Die meisten Fälle sind hingegen unbekannt, werden folglich nicht an die Gesundheitsämter gemeldet und können deshalb auch nicht nachverfolgt werden. Es ist also zu erwarten, dass die Fallverfolgung nur einen geringen Einfluss auf die Entwicklung der Epidemie hat.

Fazit

Die Strategie, die Pueyo beschreibt, zielt also im Kern darauf ab, durch eine starke Reduzierung der Neuinfektion eine effektive Fallverfolgung zu ermöglichen. Leider ist dies wegen der hohen Dunkelziffer selbst bei wenigen Neuinfektionen eben nicht möglich. Dieser Punkt wird erstaunlicherweise in den Medien und der Öffentlichkeit selten oder nie erwähnt. Allgemein wird in Deutschland in der Öffentlichkeit kaum über die übergeordneten Strategien diskutiert, lediglich über Feinheiten wie einzelne Maßnahmen oder Lockerungen.
Für mich macht es ganz stark den Eindruck, als würde Bundeskanzlerin Merkel die Strategie von Hammer und Tanz verfolgen. Durch die massiven Einschränkungen der Gesellschaft konnte die Zahl der Infizierten in letzter Zeit tatsächlich erheblich gedrückt werden und jetzt soll die Zahl der Neuinfizierten auf einem sehr geringen Niveau gehalten werden. Es klingt wie eine Aufforderung zum Tanz. Doch damit befindet sich die Bundesregierung meiner Meinung nach strategisch in einer Sackgasse. Es wird höchste Zeit, dass wir über Strategien sprechen!

Eine Zusammenfassung, welche möglichen übergeordneten Strategien bzw. Ziele es überhaupt gibt und worin sie sich voneinander unterscheiden, kannst Du im Artikel „5 Wege aus der Corona-Krise“ nachlesen.

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